Anna, Katharina und Schwester Sorge lesen ein Buch,

Demokratie, eine deutsche Affäre, von Hedwig Richter

Verhalten wir uns demokratisch? frage ich, Anna, meine Mitstreiterinnen.

Allein schon das Wort Mitstreiterinnen ist ja so 'ne Sache, denke ich dabei. Muss man denn immer streiten, um demokratisch zu sein? Das Wort „streiten „ hat ja auch was Aggressives und suggeriert ein bisschen, dass es am Ende einen Gewinner gibt, sage ich.

Na ja, meint Euphemia, genannt Sorge, aber immerhin gibt es verschiedene Meinungen. Sie trinkt einen Schluck Tee und greift sich einen Keks.

Heute scheint draußen die Sonne, es ist März, aber es weht ein bitterkalter Wind, also machen wir es uns im Wohnzimmer gemütlich mit Ingwertee und Dinkelkeksen.

Verhalten wir uns demokratisch, war ja die Frage, erinnert Katharina, die Besonnene.

Ich fummele an meiner Lapislazuli Kette herum, dann kann ich besser denken.

Ich denke mal, demokratisch heißt, dass es verschiedene Meinungen gibt, die vernünftig diskutiert werden, damit man zu der bestmöglichsten Lösung kommt,

Hohoho! Ein hohes Ziel! Sorge richtet sich in ihrem Sessel auf.

Und nicht, dass ich glaube Recht zu haben und mich „durchsetzen“ will. Das ist ein ganz anderes Ziel, ergänzt Anna.

Ja, sagt Katharina, am Ende sollte sich die bestmöglichste Lösung durchsetzen, die alle zufriedenstellt. Bzw in größeren Gruppen wird auch abgestimmt, dann entscheiden Mehrheiten.Hier auch, bemerkt Sorge trocken, in unserer Dreierkiste habe ich den Eindruck, dass ihr zwei euch zusammentut und dann zwei zu eins entscheidet und ich das Nachsehen habe.

Ich werfe Katharina einen Blick zu und verkneife mir das Grinsen „Du plädierst für Minderheitenschutz?“

Ja, sagt Sorge trotzig,dafür gibt es schließlich Antidiskriminierungsgesetze.

Gut, dann sind wir ja schon mittendrin in der Problematik.

Mal sehen , was Hedwig schreibt.

Demokratie ist kein mit bestechender Logik strahlendes System, sondern aufgrund ihrer merkwürdigen Geschichte eine zusammengeschusterte Ordnung. Demokratie ist eine spannungsgeladene Affäre, eine brenzlige Angelegenheit, wankend, nichts ist garantiert, ihr Modus ist die Krise.“

Wie bei uns, murmelt Euphemia, und die Krise krieg dann immer ich, während ihr vor Harmonie strotzt.

Genau, sage ich, und weil wir Mitleid mit dir haben, kommen wir dann trotzdem zusammen.

Da sind wir nämlich beim Stichwort Mitleid, fahre ich fort.

Ein Kapitel heißt

Mitleid als demokratisierende Kraft

Heute heißt das wohl Empathie, denkt Sorge laut.

Genau!

Rousseau galt das Mitleid als eine universelle, eine natürliche Kraft, als die Grundlage jeder Tugend und des menschlichen Zusammenlebens.“

Aber mit seinen Kindern, die er ins Waisenhaus gesteckt hat, hatte er mit denen Mitleid, frage ich.

Nee, sagt Sorge, obwohl er so viel über Erziehung geschrieben hat. War dann wohl nur theoretisch.

Mitleid nährte die Idee der Gleichheit. Mit empathischen Gefühlen konnte die Selbstverständlichkeit zum Tragen kommen, die für die Gleichheitsideale so wichtig ist, denn „self evident truths“ können sich nicht rein durch den Verstand und mit rationalen Argumenten durchsetzen und behaupten. „

Na ja, sagt Sorge gedehnt, die Gefühle galten aber nur für die Weißen, Privilegierten...

Mitleid mit Menschen anderer Hautfarben und Kulturen existierte nicht, man erinnere nur an die Rassentheorien und die Unterwerfung anderer Völker.

Das stimmt wohl, aber nichtsdestotrotz war es vielleicht ein Anfang.

Denn,.... lese ich weiter

Mitleid bedeutet aber noch mehr. Die aufklärerischen und gelehrten Ideen um das Mitleid bargen eine Absage an Gewalt. Die große Enttäuschung der europäischen Intellektuellen gegenüber der Französischen Revolution, der die anfängliche Euphorie wich, speiste sich nicht nur aus den Gewaltexzessen des Terrors von 1793 und 1794, sondern auch aus der – wie man empfand – Kriegslüsternheit des revolutionären Heeres.

Ja, Revolutionen haben meistens Gewalt und Brutalitäten nach sich gezogen,

ergänzt Euphemia

und danach kam Biedermeier, nicke ich.

Hier spricht Hedwig über den heutigen Rechtspopulismus:

Wie beim Rechtsextremismus verdeutlicht die Denkart populistischer Strömungen zudem, dass die liberale Demokratie ein bürgerliches Projekt ist, das im Wesentlichen von Bürgern erdacht wurde und im 19. Jahrhundert mit dem Bürgertum seinen Aufstieg nahm. Demokratie lebt von Bildung, von der Selbstbeschränkung und Selbstkritik, von Kommunikation, vom Sich-Zurück-nehmen-Können.

Bürgerlichkeit ist kein Garant für Demokratie, wie der Nationalsozialismus gezeigt hat, aber ohne sie wird es schwierig, wie am Stalinismus deutlich wird. In gewisser Weise lassen sich diese Ideologien, die um die Jahrhundertwende und dann in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit den Massengesellschaften ihren Aufstieg nahmen, als ein Zerrbild der Demokratie verstehen:


die Herrschaft des vom Volk legitimierten Demagogen – ohne die Schranken von Verfassung, Rechtsstaat oder Checks and Balances.


Linke und rechte Populisten fordern ein Ende der Zurückhaltung, ein Durchgreifen und Draufschlagen. Zurecht verstehen sich Rechtsextreme und Populisten gerne als Revolutionäre. Sie zerschlagen lieber, als dass sie reformieren, die männliche Heldenpose liegt ihnen mehr am Herzen als die mühsame Parlamentsarbeit. Sie fordern klare Antworten, wo in modernen Gesellschaften nur ein Abwägen möglich ist.“


Ja, interessant, sage ich, 'vom Volk legitimierten Demagogen', Hitler ist ja gewählt worden.

Trump auch, sagt Katharina, und Bolsonaro und...

Ja, da sind wir wieder bei Herrn Renz Polster und seinem Buch „Erziehung prägt Gesinnung“

und dem Problem der Gewalt, fügt Katharina hinzu.

Voraussetzung für demokratische Prozesse, ist wohl, unter anderem, eine gewaltfreie Erziehung, mit den Werten Sicherheit, Anerkennung und einer Stimme?

Die Würde des Körpers,“ ist ein zentraler Begriff im Buch.

Und wo bleibt die im Krieg? fragt Sorge.

„Auf der Strecke. Die Konsequenz bedeutet dann, dass es in der Demokratie keinen Krieg gibt, bzw, da, wo es Kriege gibt, herrscht keine Demokratie!“

Katharina gibt sich kämpferisch.

Genau, in letzter Konsequenz ist das so, und man muss ja nur hinschauen, wo es Kriege gibt,... was da mit der Demokratie los ist...

Ähm...ja... überlege ich.. und wenn die verteidigt werden soll gegen kriegerische Angriffe?

Da sind wir dann mitten drin im Dilemma, sagt Katharina. Aber eigentlich wäre Mandela ein Vorbild, die haben das Problem der Apartheid gewaltlos gelöst... durch jahrelanges zähes Verhandeln.... aber....letztlich mit Erfolg.

Apartheid war ja auch eine Art Krieg … und die Aufstände---Soweto...sehr blutig niedergeschlagen.

Es steht auch sehr viel über Frauen darin und ihrem Kampf um Gleichberechtigung über die Jahrhunderte, wirft Euphemia ein.


Ein erhellendes Buch.


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