Anna, Katharina und Schwester Sorge lesen ein Buch: Die Erfindung der Hausfrau, von Evke Rulffes


Das Konzept der bürgerlichen Hausfrau entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts“

lese ich vor,

'Woher weiß sie das?' Schwester Sorge ist auf Krawall gebürstet, 'Hört das denn nie auf mit der Hausfrau?'


Schwester Sorge, die eigentlich Euphemia heißt und am liebsten auch so genannt werden will, sitzt aufrecht im Korbsessel. Sie trägt selbstbewusst den vor Kurzem von ihr selbst fertig gestellten anthrazit farbenen Pullover mit Perlmuster und ist dementsprechend vorlaut.

Sorge hat eine grundsätzliche Kritik an einem „weißen Feminismus“ ihrer Schwestern, also an „alten weißen Feministinnen“, und hat es sich dementsprechend zur Aufgabe gemacht ihre Kritik ein zu bringen.

Die drei sitzen im Wohnzimmer ihrer Altbauwohnung in Hamburg-Ottensen, auf einem Glastisch vor ihnen Keramikbecher mit Milchkaffee und mehrere Thermokannen mit Ingwertee angefüllt. Daneben leuchten kunstvoll gefertigte Obsttörtchen und Eclairs der nahe gelegenen Patisserie Madeleine.

Die Sonne scheint durch die nach Süden gelegene Fensterfront.

Es ist 15.00, Zeit für einen nachmittäglichen Debattenplausch mit Kaffee und Kuchen.

'Langsam, langsam, das sehen wir später,' bremst Katharina das drohende Streitgespräch ab.

Katharina, die lässig auf der Chaiselongue hingegossen mehr sitzt als liegt, ist eine kluge und vernünftige Person, das Goldstück des Trios. Sie kann alles auf den Punkt bringen und erhitzte Gemüter besänftigen.

'Lies weiter!'

Es galt als Zeichen von bürgerlichem Wohlstand, dass die Ehefrau nicht „arbeiten“ musste, was bedeutet, dass sie kein Geld verdienen durfte, weil es dem Ansehen des Mannes geschadet hätte.


'Hab ich schon mal gehört', brummt Sorge, 'und zwar vor 60 Jahren.'

Die Übernahme der häuslichen Arbeit wurde zunehmend mit der Liebe zu Ehemann und Kindern begründet und eingefordert. Dazu trug auch das bürgerliche Ideal der Liebesheirat bei, das mit der Aufklärung und Romantik populär wurde.

'Von wegen Liebe, pure Ausbeutung ist das', Sorge runzelt die Stirn. Dabei fummelt sie an ihrem Pullover herum, der eigentlich recht ansehnlich ausschaut. Anschließend fixiert sie sekundenlang das Obsttörtchen, greift sich dann aber mit dem Tortenheber einen Eclair au Chocolat

Da vordergründig nicht mehr aus rein ökonomischen Gründen geheiratet wurde, war die Ehefrau dazu verpflichtet, die häussliche Arbeit ohne Erwartung einer Gegenleistung als 'Liebesdienst' zu versehen. Während sich die männlichen Berufe in dieser Zeit professionalisierten, setzte bei den häuslichen Tätigkeiten eine Deprofessionalisierung ein – die Hausfrau und Mutter sollte letztendlich als Amateurin alleine alle Aufgaben übernehmen, die früher in einem stark arbeitsteiligen Haushalt verschiedenen Expert*innen überlassen gewesen waren.

'Starker Satz', “brummt Katharina, 'muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, zunehmende Professionalisierung gegenüber amateurhafter Überforderung, wenn das man nicht schon mal Entwertung an sich bedeutet.'

'Da haste keine Chance', murmelt Sorge, das Muster ihres Pullovers betrachtend.

'Expertinnen, so'n Quatsch,' Sorge zieht ihren Pullover glatt und richtet sich auf, 'die armen Landfrauen mussten schuften und schuften und ständig Kinder gebären, von denen dann zwei Drittel starben, das war die Realität.'

Katharina grübelt, 'und bei uns in den 50ern?'

Ich melde mich zu Wort, bisher als Zitierende in Erscheinung getreten.

Ich bin Anna, die Jüngste von den Dreien.  Ich kann manchmal aufbrausend sein und eine Neigung zur Besserwiserei ausstrahlen, aber in Anwesenheit meiner Schwestern verhalte ich mich meistens einigermaßen zivil.

Außerdem vertrete ich den spontanen und kreativen Part, wobei ich durch Katharina häufig unterstützt werde, die sich dann um die Umsetzung meiner mehr oder weniger verrückten Ideen kümmert. Katharina und ich sind meistens ein gutes Team, während Euphemia, Sorge genannt, die Rolle der Bedenkenträgerin spielt, die häufig nervt, aber im Großen und Ganzen zum Gelingen beiträgt.

'Na, sage ich, 'bei uns zu Hause, armer Akademikerhaushalt, sozialer Wohnungsbau, 5 Kinder, gab es eine Arbeitsteilung, Tante Eila kam aus der „Zone“,wohnte bei uns, putzte, machte die Wäsche und den Abwasch. Mutter kochte, kaufte ein und kümmerte sich um Vater, der ja ein Bein im Krieg verloren hatte und nur eingeschränkt gehen konnte. Gemeinsam besprachen sie die Finanzen und Mutter ging zur Sparkasse, das Geld abheben. Vater war berufstätig, Studienrat am Gymnasium, kümmerte sich aber auch um die Schulbildung von uns Kindern, d.h. er ging teilweise zu Lehrer*innen, wenn es Probleme gab.

Klar war auch, dass er der Meinung war, dass Mutter unterstützt und entlastet werden sollte.'

'Da hat sie Glück gehabt,' sagt Katharina

'Ja.

Katharina ergänzt: ' Vater galt zwar als Hausherr, hat aber alles, was sie gemeinsam betraf, mit unserer Mutter besprochen, und war auch, so weit sie es sich erlauben konnten, bezüglich Kleidung oder Theaterbesuchen, Kultur, großzügig.

Allerdings hatte Mutter auch keine kostspieligen Bedürfnisse, es reichte ihr, wenn sie ihre Lektüre hatte, und ab und zu ins Theater gehen konnte.

Sie war recht bescheiden in der Hinsicht, aber auch pragmatisch.

Die Mütter unserer Freundinnen waren recht selbstbewusst, so weit ich das erinnern kann.

'Aber gearbeitet hat keine, also war berufstätig.' ergänze ich.


'Bestimmt nicht'. murmelt Sorge

'Nee, eine hat mal Kurse gegeben, Batiken usw. Ob sie dafür Geld bekommen hat, weiß ich nicht.


'Unsere Lehrerinnen waren alle unverheiratet.'

sagt Katharina, dabei schaut sie verträumt aus dem Fenster.


Und Liebesheirat, das ist so ne Sache.`überlege ich. Unsere Eltern haben sich gut verstanden, aber ich hatte eher das Gefühl, daß da die notwendige Hausarbeit war, die erledigt werden musste. Allerdings hat unsere Mutter gern gekocht und wurde auch von Vater dafür gelobt.'

'Na ja, so was hat dann ja auch mal geklappt, aber wenn Frauen kein Talent zur Hausarbeit hatten und der Mann ungnädig war, konnte es schon problematisch werden. Dann hatte der arme Mann die falsche Frau, o mein Gott!'

Eigentlich logisch sagt Katharina, warum sollten auch die Frauen alle die gleichen Talente haben, nämlich zur Hausarbeit'

' während Männer „sich zunehmend professionalisieren“ Denen standen, je nach Schichtzugehörigkeit, schon mal ein paar mehr Berufe zur Auswahl. Es gab sicher auch schon Aufsteiger.'

'Und wieso erst ab 19. Jahrhundert?'

'War das früher anders?' fragt Katharina

Ich lese:“...Onehin waren selbstständige Handwerkerinnen, Händlerinnen, Ärztinnen oder Wirtinnen in den Städten des Mittelalters keine Seltenheit – mit oder ohne Ehemann.“

Handwerkerinnen waren sogar in den Zünften organisiert, allerdings wurden weibliche Zunftmitglieder zunehmend als Konkurrenz betrachtet.

In Köln zum Beispiel waren die Zünfte der Garnmacherinnen, Seidenweberinnen und Goldspinnerinnen ausschließlich weiblich besetzt.

Für Frankfurt am Main sind für die Zeit von 1300 bis 1500 Durchschnittszahlen überliefert, die über das Geschlechterverhältnis verschiedener Berufe Auskunft geben: 65 Berufe waren reine Frauensache ( dazu zählte z.B. das Bierbrauen), bei 17 Berufen waren Frauen in der Mehrzahl, bei 38 war das Verhältnis von Frauen und Männern ausgeglichen, und 81 Berufe wurden von Männern dominiert....

Mit dem Wachstum städtischer Gesellschaften im 15. Jahrhundert drängten immer mehr Gesellen auf den Arbeitsmarkt....infolgedessen wurden Frauen nach und nach aus vielen Zünften verdrängt.“


'Wer hätte das gedacht', sinniert Katharina, '65 Frauenberufe..

Bierbrauen...

und dann später?'

'Da greift die Autorin auf Ratgeberliteratur zurück, die wohl ab dem 17. Jahrhundert massenhaft gekauft und gelesen wurden.'

Sorge kichert: 'So eine Art „Brigitte“ des 19. Jahrhunderts?'

'Bisschen anders. Daraus geht hervor, dass die Bereiche von Mann und Frau getrennt waren, aber beide hatten das Sagen, die Hausmutter als auch der Hausvater.

In dem Ratgeber bekleidet die Hausmutter eine

...Herrschaftsposition, die durchweg positiv geschildert wird. Der Autor der Hausmutter, Friedrich Christian Germershausen...publizierte mehrere ökonomische Werke. „Der Autor adressiert seine Leserinnen auf Augenhöhe, als 'Betriebsleiterinnen'... Wichtig ist, dass die Ehepartner sich gegenseitig respektieren müssen....

Davon, dem Ehemann zu dienen, ist nicht die Rede – im Gegenteil warnt Germershausen den Ehemann davor, die Ehefrau wie eine Sklavin zu behandeln.

'Also muss das wohl vorgekommen sein', Sorge hat aufgepasst.' Warum sollte er es sonst erwähnen?'

Ich nicke und fahre fort:

'Außerdem musste die Ehefrau

den Überblick über die Finanzen haben und sich regelmäßig mit ihrem Mann über die nächsten Schritte beraten....

Vieles davon würde man heute als Betriebsmanagement bezeichnen, im Grunde handelt es sich um Tätigkeiten, die Ehefrauen oft schon in mittelalterlichen Handwerksbetrieben übernommen haben: die Organisation der Produktionsprozesse, den Einkauf, die Vermarktung. ...ihre Hauptaufgaben sind das Delegieren und Überwachen eines mehr oder weniger großen Stabs an Personal'

'Boah, da biste platt!' sinniert Schwester Sorge .

'Ja, schon sehr spannend, und warum kippte das dann im 19. Jahrhundert?' will Katharina wissen

'Ja, dafür gibt es entscheidende Gründe:

Die ökonomischen Gründe kann man im Einzelnen im Buch nachlesen, allerdings war der Effekt sozusagen nicht förderlich für die Gleichberechtigung, da nun der Mann offiziell das Sagen hatte.:'

Im 19. Jahrhundert wird nur noch die Frau mit der Familie identifiziert, der Mann durch den Beruf und seine gesellschaftliche Position, nicht mehr, wie noch der Hausvater, durch die Familie.“ Es gibt eine „Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb der Ehe vom Arbeitspaar zur Hausfrauen- ehe...“ „Ein Klassiker sind die Ehen, in denen die Frauen ihren Mann um Taschengeld bitten müssen, jeder Kleiderkauf für sich selbst ein Kampf – das Klischee von der Ehefrau, die das Geld des Mannes verschwendet, wurde gern und oft reproduziert.'

Betretenes Schweigen folgt diesen Zeilen, die ich vorlese, dann meldet sich Sorge:

'Wie gut, dass wir immer für finanzielle Unabhängigkeit gesorgt haben, was, Ladies?'

Katharina ergänzt: 'Ja, so ist es.

Es mag Paare geben, die das hinbekommen, mit einem Alleinverdiener, inzwischen ja auch Alleinverdienerin, wenn die häusliche Arbeit genau so hoch bewertet wird wie die Berufliche.'


Ich schließe mich an: ' Eine sehr erhellende Lektüre. Dass es zum Teil im Mittelalter und später, zumindest im Bürgertum mehr Gleichberechtigung zwischen Eheleuten gegeben hat, hätte ich nicht gedacht.'


Katharina ergänzt, 'wobei gesagt wird, dass generell Frauen sich dem Patriarchat unterordnen mussten, in allen Zeiten. Bis jetzt ? '


Ich sage, dass mich das Thema Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau seit Jahren beschäftigt. Ich zähle mich zu den Siebziger Feministinnen und bin mit 80% oder 100% Beschäftigung ganz gut durch die Jahre gekommen, einschließlich zwei Kindern, Putzfrau und Au Pair Mädchen, und mich jetzt auch einer ansehnlichen Beamtinnen Pension erfreuen kann, mir also Altersarmut erspart geblieben ist, aber...

Sorge nickt eifrig. 'Aber..' hebt sie an, während ich fortfahre:

'Na ja, ich hätte ja gedacht, dass das seit der Frauenbewegung sozusagen Standard geworden wäre, dass die Frauen berufstätig sind und zwar nicht nur halbtags und die Haus-und Erziehungsarbeit zwischen den Eheleuten geteilt wird.

Und das ist ja, wie wir aus vielen Veröffentlichungen und den Neuen Medien wissen, nicht immer der Fall...eher weniger.'

Katharina ergänzt. 'Es gibt heutzutage alles, Frauen, die Karriere machen und Kinder haben, Frauen, die bis zum Anschlag mit einer akademischen Ausbildung ausgestattet sind, drei Kinder bekommen und zu Hause bleiben, Frauen, die halbtags arbeiten und sich voll um den Haushalt und die Kinder kümmern....'

'Also ich finde', sage ich, 'bei allem Fortschritt und erkämpften Errungenschaften sitzt uns dieses 19. Jhdt noch ganz schön in den Knochen!'

'Wobei,' sagt Katharina, 'man berücksichtigen muss, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse geändert haben ohne wirklich die sozialen Belange entscheidend zu verbessern, Technologischer Fortschritt, Globalisierung, ökonomische Verhältnisse'...

Schwester Sorge nickt, und ergänzt, 'also müssen die Frauen wieder, obwohl sie vielleicht  kein Talent haben, im Haushalt und in der Kindererziehung dilettieren...'

Katharina und ich gucken uns an.

'Na ja, man könnte sagen, dass sie damit wahrscheinlich überfordert sind.

Dabei gab es im 19. und 20. Jahrhundert reichliche Bewegungen und Kämpfe um Gleichberechtigung. Dazu gehören wir auch.'

'Ja, und Talente gäbe es ja genug...'

'Tja...'

Katharina träumt: 'Wenn sich die Frauen nur einig wären...'

'Ja, und entsprechende Forderungen stellen würden, aber dazu.'.. sage ich...'

...'sind sie nicht unzufrieden genug', murmelt Sorge. 'Oder nicht rebellisch'?

'Vielleicht', sage ich, 'aber eins höre ich immer wieder: Sie bestehen darauf, dass sie es selbst mit ihrem Partner/Partnerin entscheiden wollen.


Sie legen Wert auf Selbstbestimmung.'


'Das kann eine Ausrede sein, '


'oder ein Fortschritt?'


'Oder beides'?


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